Setúbal

Setúbal, Innenstadt

Routenführung

 

Zwischen Lissabon und Setúbal liegt per Zug eine gute halbe Stunde. Gefühlt sind Lichtjahre dazwischen. Denn Setúbal ist immer noch eine ganz normale portugiesische Stadt, die sich eher auf den zweiten Blick erschließt. Zwar putzt man sich langsam für die Luxustouristen aus Tróia heraus und passt die Infrastruktur den Wünschen der Besserverdiener an, die spät aus der Hauptstadt nachhause kommen. Stand heute ist das allerdings eine positive Entwicklung – aus einem eher maroden Standort der Industrie wird eine Stadt, die an jeder Ecke ihre Geschichte in die Neuzeit bringt. Praktisch für Sie, dass diese Stadt ausgerechnet in einer der schönsten Buchten der Welt liegt.

 


Nach Setúbal ist unsere gesamte Halbinsel benannt. Die Stadt bietet viel, ohne von Touristen überrannt zu sein und liegt wirklich wunderschön in einer Flussmündung.  

 


 


Basics

Auch wenn Sie noch nie davon gehört haben: Setúbal wächst, zählt mit 120.000 Einwohnern zu den bevölkerungsreichsten Städten und mit etwa einer Million Menschen zu den großen Landkreisen. Der Hafen ist einer von eher wenigen portugiesischen Orten, die im 19. Jahrhundert eine ernsthafte Industrialisierung erleben, anfangs durch Werften und Konservenfabriken für Ölsardinen – im Zentrum gibt es dazu ein nettes Museum der Arbeit. Heute verschifft Volkswagen unter anderem den T-Roc, eine Zementfabrik steht im Naturschutzgebiet und Europas größter Papierhersteller schüttet Abwässer in den Lebensraum von Delfinen.

In den letzten Jahren rückt Setúbal auch als Wohnort wieder in den Fokus. Eine erneuerte Bahnverbindung an die Südküste des Tejo bringt Leute schnell zur Arbeit in Lissabon und eben auch schnell wieder zurück an den Rand der Metropolregion, wo die Mieten noch lange nicht so absurd wie in der Hauptstadt sind. Wohnraum in der Innenstadt wird kernsaniert, der Handels- entwickelt sich zum Vergnügungshafen, die Markthalle bleibt eine der besten, die man erleben kann. Per Boot sind Sie in zehn Minuten auf der Halbinsel Tróia, einem Hideaway für die globale Superprominenz – spätestens, seitdem José Mourinho den Spielern des FC Chelsea davon erzählt. Das wiederum erklärt, warum in der Markthalle Panini-Bilder von Fußballstars herhalten müssen, um die Fischqualität anzupreisen (der Typ mit dem Ballack-Selfie hat wirklich grandiosen Tuna).

 



Direkt hinter der Markthalle gibt es Eingeschweißtes und Fischkonserven. Die sind optisch nicht gar so stylish wie aus irgendeinem Lissabonner Souvenirshop, kommen dafür aber aus den paar übrigen lokalen Betrieben.  

 


 


 

Mourinho ist einer von drei Namen, die Ihnen in Setúbal an jeder Ecke begegnen. Als Spieler geht so, in den 80ern zwei Jahre bei GD Sesimbra, also drittklassig. Als Trainer Weltklasse. Die gepimpte Promenade trägt seinen Namen – obwohl der Mann noch lebt! Superpromi Nummer Zwei ist Manuel du Bocage. Der gilt als Nachfolger von Nationaldichter Luís de Camões, was man biografisch vielleicht noch nachvollziehen kann, inhaltlich aber ganz was anderes ist: Bocage wandert auf Voltaires geistigen Spuren, ist heftiger Kritiker des kolonialen Lifestyles im 18. Jahrhundert und ein Autor, dessen Sonette offiziell zu den besten der portugiesischen Literatur gehören. Einige Texte werden noch 50 Jahre nach seinem Tod zurückgehalten, weil irgendwelche Behörden sie für zu erotisch halten. Dann wäre da noch Luisa Todi, quasi die frühe Callas aus Setúbal. La Todi ist die in ganz Europa vermutlich schillerndste Operngestalt des 18. Jahrhunderts, tritt an jedem großen Hof auf und löst in St. Petersburg sogar einen Streit unter Diven aus, den Katharina die Große persönlich schlichten muss. Sie trifft auch Beethoven. Der stirbt taub, die Todi blind. Das nach ihr benannte Forum ist ein nationales Aushängeschild klassischer Musikkultur, gerne zeitgemäß interpretiert.

 


Historisches

Ein Industrie- und Logistikstandort ist Setúbal schon immer. In der Bucht liegt während des vierten vorchristlichen Jahrhunderts einer der wenigen phönizischen Handelsposten an der Atlantikküste namens Abul – es geht um Salz, Fisch und Zinn. Die Römer nutzen die Fanggründe um die Zeitenwende für die wohl größte Soßenfabrik des Altertums und nennen die Gegend Caetobriga. In arabischen Zeiten übernimmt Alcácer do Sal die Rolle als strategischer Hafen der Sado-Mündung. Nachdem die Santiago-Ritter die Berber vertreiben, etablieren sie einen zunehmend bedeutenden Hafen für die Übersee-Expansion: 1458 legt König Alfons V. mit einem riesigen Heer aus Setúbal Richtung Afrika ab, 1492 hören wir das erste Mal von einem gewissen Vasco da Gama, der französische Piraterie verfolgen soll.

 



Schon doof: da will man mit 10.000 Mann den Papst beeindrucken und einen Kreuzzug führen, dann stirbt dieser Papst einfach. Egal. Bevor jetzt einfach alle wieder nachhause gehen, erobern wir halt ein paar Städte irgendwo anders – in diesem Fall das marokkanische Azilah. Was erklärt, warum man Alfons V. „den Afrikaner“ nennt.

 


 


 

In guten Zeiten wirft der Hafen massig Steuern für die Krone ab, in schlechten liefern die Salinen Tauschware für kriegsrelevante Güter. Wie wichtig Setúbal ist, beweist das neue Fort, bei dessen Grundsteinlegung Philipp II. 1582 persönlich anwesend sein soll – mutmaßlich will er ein deutliches Zeichen für die spanische Herrschaft setzen. Später, im absolutistischen Portugal, wachsen auf der ganzen Halbinsel großspurige Adelsgüter mit häufig landwirtschaftlichem Betrieb, zum Beispiel das der O’Neills, die bis heute eine ganz große Nummer in der Region sind und unter anderem eine Reederei betreiben. Der dänische Märchenmann Hans Christian Andersen besucht die Familie 1866 und schwärmt im Gästebuch von der „grünen Ebene“, aus der „die Eindrücke als ferne Gedanken zu allen Lieben fliegen“. Wer an einem Aussichtspunkt steht, kann das nachvollziehen.

 


Dringend

Wer gerne kocht, kommt am Mercado de Livramento kaum vorbei. Je früher Sie da sind, desto besser, Schluss ist gegen 14 Uhr. Fragen Sie einfach die Händler nach einem Sack Eis, der den Einkauf im Auto frisch hält, während Sie die Stadt erkunden. Wenn Sie uns fragen, sollten Sie aber erstmal die Bucht erkunden: vom Markt spazieren Sie zehn Minuten zum Ableger für die fachlich mit Abstand beste Delfintour in der Sado-Mündung, die frühe Abfahrt ist meist um 10. Das geht drei tolle Stunden lang (Theorie zu den Tieren gibt es in der Casa de Baia). Danach schleppen Sie sich am Wochenende oder in der Saison täglich bitte die paar Meter zum Food Truck mit den Sado-Austern. Wer danach noch nicht rundum zufrieden ist, liest und macht einfach weiter. Alle anderen fahren über die Küstenstraße zurück nach Sesimbra, machen locker und werfen abends den Einkauf aus Setúbal auf den Grill.

 



Der internationale Triumphzug der Auster beginnt mit einem gesunkenen Schiff vor der französischen Atlantikküste. Der damals lebendige Proviant ist heute die größte Austernbank der Welt. Heimathafen des Wracks ist Setúbal.

 


 


 

Innenstadt

Setúbals Fußgängerzone wehrt sich gegen die Globalisierung. Daher bekommen Sie in den paar engen Straßen zu vergleichsweise erträglichen Preisen noch typische Dinge wie Herrenanzüge oder Lederschuhe vom Fachhändler. Unterstützen Sie, was immer Sie unterstützenswert finden, im Rathaus stapeln sich Beschwerden über mangelnden Support des Kleingewerbes durch die Gemeinde. Stillen Protest gegen Behörden als solche können Sie üben, indem Sie ins Rathaus gehen, wild rumfotografieren und nach der Toilette fragen. Im Ernst: ein Blick in das lila Gebäude lohnt sich, auch wenn das gesamte Innenleben mehrfach rekonstruiert ist, Stand heute nach Plänen von Raul Lino, der wesentlich für das Bild von portugiesischer Architektur verantwortlich ist, das wir heute so im Kopf haben.  

Der Rathausplatz heißt ursprünglich übrigens Gemüsemarkt und beherbergt schon seit 1525 die Stadtverwaltung. Heute schlägt auf der Praça do Bocage das touristische Herz von Setúbal. Hier steht seit Ewigkeiten die Hauptkirche. Man kann einen Blick reinwerfen und sich eines Bildes erfreuen, dass angeblich der Werkstatt von Gregório Lopes entstammt – immerhin der berühmteste Renaissance-Maler, den das Land zu bieten hat. Man kann sich auch auf die Terrasse der Casa do Turismo setzen. Klingt erstmal nach Nepp, ist aber eher fehlende Kreativität bei den Namensgebern. Das Gebäude ist ein alter Militärclub, toll instandgesetzt und verkauft Wein aus der Gegend, ein paar Hintergrundinfos inklusive. Erkennen Sie an der Katze auf dem Dach, die laut Künstler daran erinnern soll, nicht nur wild durch die Stadt zu rennen, sondern sich genauer anzusehen, was in dieser Stadt passiert. Wenn Sie diesem Gedanken folgen möchten: keine zwei Minuten nördlich des Platzes erwartet Sie das Café-Atelier Rota dos Saberes & Sabores. Hier gibt es zum Törtchen Schmuck und Kram aus Handarbeit der Besitzer. Schöne Erinnerungsstücke. Etwas abgefahrener auch bei Maria Pó, die im Laden kleine Versionen ihrer Pasmadinhos aus dem Stadtpark anbietet. Prinzipiell können Sie hier auch Ihre Schwiegermutter als Skulptur bestellen. Ein netter Laden für eher kulinarische Mitbringsel ist die Mercearia Caetobriga.

 



Pasmadinhos, „die Erstaunten“, sind quasi Stehaufmännchen aus Setúbal, deren Ursprung wenigstens wir Ihnen nicht recht erklären können. Im Bild ein vollkommen authentisches Porträt des großen Dichters Manuel do Bocage.

 


 


 

Troino

Bevor Sie ins hippe Setúbal eintauchen, sollten Sie einen Schlenker über das Kloster machen – nicht unbedingt, um sich stundenlang durch das Stadtmuseum zu arbeiten (außerdem gibt es eine Kurzversion mit 14 Gemälden im Bankgebäude neben dem Markt). Im Grunde reicht eine Gedenkminute auf dem Vorplatz für einen der absoluten moralischen Tiefpunkte europäischer Geschichte: 1494 ratifiziert der portugiesische König im damals kaum bezugsfertigen Nonnenkloster den Vertrag von Tordesillas und besiegelt damit die Teilung der Welt in eine spanische und eine portugiesische Hälfte. Die Folgen kennt ja jeder.

Direkt südlich liegt die alte Arbeitervorstadt Troino. Es hipstert gewaltig, denn eine Initiative möchte den Bezirk aufwerten und traut sich dabei tatsächlich, den Begriff „Cooltura“ in den Mund zu nehmen – damit gemeint ist die übliche Mischung aus Straßencafés und Coworking Spaces in Verbindung mit irgendwie originellen Läden in improvisiert wirkenden Gewerberäumen, die man sich noch leisten kann. Heute sind es Friseure, Yogastudios und der obligatorische CBD-Shop, die Gentrifizierung lauert in Form von Boutiquen oder Galerien und es sieht so aus, als würden Sanierungen eher Airbnb zugute kommen. Die Entwicklung ist dynamisch, aktuell empfiehlt sich ein Besuch der Mercearia Confiança – ein vor 100 Jahren stehen gebliebener Lebensmittelladen mit guter Gastronomie. Erwähnt sei auch der Shop eines ehemaligen Forstwirts, der Charroco am Leben hält, einen aus der Zeit gefallenen Slang aus den Konservenfabriken, in dem sich Regionaldialekt mit französischer Umgangssprache paart.

 



Die Praça Machado dos Santos ist ein hübscher Platz, auf dem immer noch vor allem die Nachbarschaft essen geht. Lohnt sich.

 


 


 

Und sonst so?

Ein herrlicher Ausflug für sich ist die Gezeitenmühle. Ganz gut mitnehmen lässt sich die Festung, und sei es nur auf einen Drink mit bestem Ausblick. Überhaupt genießt Setúbal einen guten gastronomischen Ruf, das A Vela Branca zum Beispiel bietet zu gutem Essen eine wunderschöne Terrasse und häufig Abendprogramm. Regionale Spezialitäten als gemischte Platten gibt es im Porta 165, Steaks isst man im Carnes de Convento. Im Hafen hat man die Qual der Wahl, das gehobene Xtoria eignet sich für einen besonderen Abend mit vom Guide Michelin ausgezeichneten Preis-Leistungs-Verhältnis. Zum Fisch-Rodizio im Ancora Azul gehen die Meinungen zusehends auseinander. Klar ist, dass es Sie außer Austern frittierten Tintenfisch probieren sollten, angeblich eine Erfindung aus Setúbal. Finden Sie überall auf den Speisekarten, sparen Sie sich daher den Weg zum Rei de Choco Frito – der „König“ hat sich selbst ernannt.

 


Der Palácio da Comenda steht an der Zufahrtsstraße nach Setúbal, als Wachturm schon seit dem Hochmittelalter. Eine erste Villa gehört u.a. Vasco da Gama, der aktuelle Bau stammt aus dem frühen 20. Jahrhunderts als opulente Version einer „casa portuguesa“ – dem „perfekten portugiesischen Haus“. Die Liste der Promi-Gäste ist endlos, zum Beispiel findet die Kennedy-Witwe hier Unterschlupf. Nach langem Leerstand für angeblich 50 Millionen verkauft.